Ex-Gamestar-Redakteur rechnet mit Spielejournalismus ab.
Verfasst: Mi 12. Okt 2011, 10:45
Hallo zusammen,
Elianda schickte mir vor ein paar Tagen den Link auf folgenden Artikel:
http://kaliban.de/2011/09/zum-zustand-d ... elekritik/
Christian Schmidt, früher stellvertretender Chefredakteur der Gamestar rechnet dort mit dem "Zustand der deutschen Spielekritik" ab.
Ich muß sagen, daß mir der Artikel, gelinde gesagt, etwas merkwürdig vorkommt und das, obwohl ich bestimmt kein Hardcore-Gamer bin und auch allgemein gerne und oft die Medienlandschaft kritisiere.
Kurz zusammengefaßt ist Herr Schmidt der Ansicht, daß sich die Spielepresse zu sehr an "Ultras" richtet (seine Umschreibung von "Hardcore-Gamer") und damit den Anschluß an die inzwischen breite, Spiele spielende Masse verpaßt.
Ein Kritikpunkt ist vor allem daß die Tests in extremem Detail die Einzelheiten der Spiele beschreiben, aber es nicht schaffen, gute Geschichten über Spiele zu erzählen oder Spiele in einen kulturellen Kontext einzuordnen.
Ich sehe da einen gewaltigen Knackpunkt:
Gamestar oder ähnliche Magazine nun einmal von "core gamern" gekauft. Welcher "casual gamer", der einmal in der Woche WiiSports spielt oder auf dem iPad Mahjongg zockt, kauft denn bitte eine Fachzeitschrift zum Thema PC- oder Konsolenspiele?
Solche Leute sind doch mit der Spiele-Ecke in "allgemeinen" Zeitschriften mehr als bedient und kaufen sicher kein teures Heft, in dem auf hunderten Seiten die Spiele für "echte Zocker" besprochen werden.
Die "Kern-Klientel" dagegen will natürlich genau wissen, wie ein Spiel funktioniert und bei einigen Spielen sehe ich darin auch das einzige Abgrenzungsmerkmal zu anderen Spielen desselben Genres.
Was bitte soll denn ein Test, der den fünfmillionsten 3D-Shooter bespricht (der wahrscheinlich aus einer Serie mit 9 Vorgängern stammt) relevantes berichten außer "die Blubb-Kanone hat jetzt noch einen dritten Feuermodus, bei dem... bla..." oder "die Qualität der Texturen ist gestiegen, das Spiel nutzt jetzt Physik-Beschleuniger für Ragdoll-Effekte und es gibt jetzt DirectX-11-Unterstützung".
Ich glaube, hier wird der Berichterstattung über das Produkt angekreidet, daß sie eben die Eigenschaften der Produktkategorie reflektiert, was natürlich zu kurz gedacht ist.
Kurz gesagt: Ursache und Wirkung werden verwechselt.
Christian Schmidt fordert:
"Sie [die Spielekritik] muss aufhören, Spiele als Summe einzelner Teile zu begreifen. Sie muss ihren Blick auf das Ganze richten, den Kontext kennen und Einordnung geben."
"Sie muss neue Erzählweisen finden. Sie muss Geschichten über Spiele erzählen, nicht nur Geschichten aus Spielen."
Wie soll das eigentlich in der Praxis funktionieren, ohne daß die Zielgruppe sich genervt abwendet, weil sie eben keinen intellektuellen Diskurs will sondern einen Testbericht?
Für mich klingt das so als hätte da jemand, der sich zu Höherem berufen fühlt, 13 Jahre lang Computerspiele getestet, warum auch immer.
Jetzt hat er diesen "hirnlosen Mist" und seine Zielgruppe so satt, daß er sich erst einmal so richtig auskotzen muß.
Als Beispiel für einen guten Artikel nennt Christian Schmidt übrigens diesen Artikel über Bulletstorm: http://www.heise.de/tp/artikel/34/34303/1.html
Entschuldigung, aber geht's noch? Unlesbare Bandwurmsätze mit Unmengen an Relativsätzen und Gedankenstrichen, gehobene Bildungsbürger-Ausdrucksweise, Bezug auf diverse Autoren und Philosophen... in einem Artikel über einen 3D-Shooter??
Bei solch einem Sermon frage ich mich, ob ich lachen oder weinen soll. Wenn das das Idealbild des Spielejournalismus sein soll und in der Form auf breiter Front eingeführt würde, dann können die Zeitungen gleich Konkurs anmelden.
Dabei finde ich es lustig, daß Christian Schmidt ausgerechnet das Wort "Elfenbeinturm" verwendet. Das hätte ich jetzt eher mit Leuten assoziiert, die einen "Killerspiel"-Test mit einem kulturphilosophischen Diskurs einleiten :-)
Wenn ich Autos hasse, dann sollte ich vielleicht nicht ein gutes Jahrzehnt lang bei AutoBild arbeiten und mich anschließend über die geistlosen Tests beklagen, in denen es immer nur um technische Daten und den "Fetisch Automobil" geht.
Und wenn ich mein Publikum schon seit Jahren insgeheim verachte und dennoch nicht den Beruf wechsle, dann würde ich diesen Umstand doch zumindest diskret für mich behalten und nicht auf eine solche Art und Weise "nachtreten" - und sei es nur, um nicht als illoyal oder undankbar zu gelten und mir so zukünftige Karrierechancen zu verbauen.
Insgesamt enthält der Artikel sogar einige berechtigte Kritik, wie die Tendenz, daß Spieletests immer mehr von unterbezahlten, 17-jährigen Praktikanten geschrieben werden und daß die Spielepresse manchmal eher "von Fans für Fans" geschrieben wird als daß sie wirklich aus kritischer Distanz über ihr Themengebiet berichtet.
Aber diese berechtigten Kritikpunkte scheinen mir in der demonstrierten Überheblichkeit leider etwas unterzugehen, zumal sich ein stellvertretender Chefredakteur auch fragen lassen muß, was er unternommen hat, um diese Zustände zu bekämpfen.
So sieht es zumindest Mick Schnelle, der den Artikel sehr scharf kritisiert: http://www.gamersglobal.de/meinung/lieb ... ent-372505
Heinrich Lenhardt findet die Abrechnung zumindest "lesenswert", wobei ich finde, daß gerade Lenhardt immer demonstriert hat, daß man Spiele eloquent, unterhaltsam, verständlich aber dennoch niveauvoll rezensieren kann, ohne dabei dauernd zwanghaft auf Goethe und Kant zurückgreifen zu müssen.
Boris Schneider hat vor einer Weile einen ähnlichen Artikel veröffentlicht, wobei ich seine Argumente als sehr viel konkreter und nachvollziehbarer empfinde: http://www.dreisechzig.net/wp/archives/1802
Und was sagt Ihr?
Gruß,
Stephan
Elianda schickte mir vor ein paar Tagen den Link auf folgenden Artikel:
http://kaliban.de/2011/09/zum-zustand-d ... elekritik/
Christian Schmidt, früher stellvertretender Chefredakteur der Gamestar rechnet dort mit dem "Zustand der deutschen Spielekritik" ab.
Ich muß sagen, daß mir der Artikel, gelinde gesagt, etwas merkwürdig vorkommt und das, obwohl ich bestimmt kein Hardcore-Gamer bin und auch allgemein gerne und oft die Medienlandschaft kritisiere.
Kurz zusammengefaßt ist Herr Schmidt der Ansicht, daß sich die Spielepresse zu sehr an "Ultras" richtet (seine Umschreibung von "Hardcore-Gamer") und damit den Anschluß an die inzwischen breite, Spiele spielende Masse verpaßt.
Ein Kritikpunkt ist vor allem daß die Tests in extremem Detail die Einzelheiten der Spiele beschreiben, aber es nicht schaffen, gute Geschichten über Spiele zu erzählen oder Spiele in einen kulturellen Kontext einzuordnen.
Ich sehe da einen gewaltigen Knackpunkt:
Gamestar oder ähnliche Magazine nun einmal von "core gamern" gekauft. Welcher "casual gamer", der einmal in der Woche WiiSports spielt oder auf dem iPad Mahjongg zockt, kauft denn bitte eine Fachzeitschrift zum Thema PC- oder Konsolenspiele?
Solche Leute sind doch mit der Spiele-Ecke in "allgemeinen" Zeitschriften mehr als bedient und kaufen sicher kein teures Heft, in dem auf hunderten Seiten die Spiele für "echte Zocker" besprochen werden.
Die "Kern-Klientel" dagegen will natürlich genau wissen, wie ein Spiel funktioniert und bei einigen Spielen sehe ich darin auch das einzige Abgrenzungsmerkmal zu anderen Spielen desselben Genres.
Was bitte soll denn ein Test, der den fünfmillionsten 3D-Shooter bespricht (der wahrscheinlich aus einer Serie mit 9 Vorgängern stammt) relevantes berichten außer "die Blubb-Kanone hat jetzt noch einen dritten Feuermodus, bei dem... bla..." oder "die Qualität der Texturen ist gestiegen, das Spiel nutzt jetzt Physik-Beschleuniger für Ragdoll-Effekte und es gibt jetzt DirectX-11-Unterstützung".
Ich glaube, hier wird der Berichterstattung über das Produkt angekreidet, daß sie eben die Eigenschaften der Produktkategorie reflektiert, was natürlich zu kurz gedacht ist.
Kurz gesagt: Ursache und Wirkung werden verwechselt.
Christian Schmidt fordert:
"Sie [die Spielekritik] muss aufhören, Spiele als Summe einzelner Teile zu begreifen. Sie muss ihren Blick auf das Ganze richten, den Kontext kennen und Einordnung geben."
"Sie muss neue Erzählweisen finden. Sie muss Geschichten über Spiele erzählen, nicht nur Geschichten aus Spielen."
Wie soll das eigentlich in der Praxis funktionieren, ohne daß die Zielgruppe sich genervt abwendet, weil sie eben keinen intellektuellen Diskurs will sondern einen Testbericht?
Für mich klingt das so als hätte da jemand, der sich zu Höherem berufen fühlt, 13 Jahre lang Computerspiele getestet, warum auch immer.
Jetzt hat er diesen "hirnlosen Mist" und seine Zielgruppe so satt, daß er sich erst einmal so richtig auskotzen muß.
Als Beispiel für einen guten Artikel nennt Christian Schmidt übrigens diesen Artikel über Bulletstorm: http://www.heise.de/tp/artikel/34/34303/1.html
Entschuldigung, aber geht's noch? Unlesbare Bandwurmsätze mit Unmengen an Relativsätzen und Gedankenstrichen, gehobene Bildungsbürger-Ausdrucksweise, Bezug auf diverse Autoren und Philosophen... in einem Artikel über einen 3D-Shooter??
Bei solch einem Sermon frage ich mich, ob ich lachen oder weinen soll. Wenn das das Idealbild des Spielejournalismus sein soll und in der Form auf breiter Front eingeführt würde, dann können die Zeitungen gleich Konkurs anmelden.
Dabei finde ich es lustig, daß Christian Schmidt ausgerechnet das Wort "Elfenbeinturm" verwendet. Das hätte ich jetzt eher mit Leuten assoziiert, die einen "Killerspiel"-Test mit einem kulturphilosophischen Diskurs einleiten :-)
Wenn ich Autos hasse, dann sollte ich vielleicht nicht ein gutes Jahrzehnt lang bei AutoBild arbeiten und mich anschließend über die geistlosen Tests beklagen, in denen es immer nur um technische Daten und den "Fetisch Automobil" geht.
Und wenn ich mein Publikum schon seit Jahren insgeheim verachte und dennoch nicht den Beruf wechsle, dann würde ich diesen Umstand doch zumindest diskret für mich behalten und nicht auf eine solche Art und Weise "nachtreten" - und sei es nur, um nicht als illoyal oder undankbar zu gelten und mir so zukünftige Karrierechancen zu verbauen.
Insgesamt enthält der Artikel sogar einige berechtigte Kritik, wie die Tendenz, daß Spieletests immer mehr von unterbezahlten, 17-jährigen Praktikanten geschrieben werden und daß die Spielepresse manchmal eher "von Fans für Fans" geschrieben wird als daß sie wirklich aus kritischer Distanz über ihr Themengebiet berichtet.
Aber diese berechtigten Kritikpunkte scheinen mir in der demonstrierten Überheblichkeit leider etwas unterzugehen, zumal sich ein stellvertretender Chefredakteur auch fragen lassen muß, was er unternommen hat, um diese Zustände zu bekämpfen.
So sieht es zumindest Mick Schnelle, der den Artikel sehr scharf kritisiert: http://www.gamersglobal.de/meinung/lieb ... ent-372505
Heinrich Lenhardt findet die Abrechnung zumindest "lesenswert", wobei ich finde, daß gerade Lenhardt immer demonstriert hat, daß man Spiele eloquent, unterhaltsam, verständlich aber dennoch niveauvoll rezensieren kann, ohne dabei dauernd zwanghaft auf Goethe und Kant zurückgreifen zu müssen.
Boris Schneider hat vor einer Weile einen ähnlichen Artikel veröffentlicht, wobei ich seine Argumente als sehr viel konkreter und nachvollziehbarer empfinde: http://www.dreisechzig.net/wp/archives/1802
Und was sagt Ihr?
Gruß,
Stephan